[Reisebericht] Wüstenwandern in der Oase Dakhla

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Isis
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[Reisebericht] Wüstenwandern in der Oase Dakhla

Beitragvon Isis » Di 06 Jan, 2009 10:47

[align=center] faustus hat folgenden Bericht geschrieben:[/align]

Heilort Wüste
von Faustus

Von jeher übte die Wüste einen ganz besonderen Reiz auf suchende Menschen aus – denken wir nur an Johannes den Täufer, Jesus oder in neueren Zeiten Antoine de Saint Éxyperie. Und heute, wo Esoterik und Spiritualität auf Suchende einen besonderen Reiz ausübt und sich die Touristik-Industrie auch dieses Bereichs annimmt, gibt es immer mehr Angebote von Wüstenreisen jeder Art.

Auch ich spürte mein ganzes Leben lang eine tiefe innere Sehnsucht nach der Wüste. Eines jedoch war mir immer klar: wenn ich in die Wüste gehe, dann nicht mit einer organisierten Gruppe von Pauschalreisenden. Aber alleine – das traute ich mich auch nicht.

So musste ich über 70 Jahre alt werden, bis ich FriedEL traf, die nicht nur eine geistige Einstellung hat zur Welt und dem, was sie zusammenhält, die meiner sehr nahe kommt; nein, FriedEL hat auch ein wunderbares Tanz- und Meditationshaus in der Wüstenoase Dakhla, wohin sie Reisen mit kleinen Gruppen von Interessierten anbietet. Als ich davon erfuhr, war mir sofort klar: das ist meine Chance! Dort will ich hin!

Und so reiste ich zum ersten Mal über Weihnachten und Sylvester 2007/08 nach Bir Gabal, nahe dem Ort El Qasr in der ägyptischen Wüste, in das kleine Wüstenhotel von Hatem, neben dem FriedEL´s „Hathor-Chalet“ liegt. Die Reisegruppe bestand aus nur 7 Personen; meine Ilse begleitete mich. Behutsam wurden wir von FriedEL in die völlig andersartige Welt der Wüstenoase eingeführt. Gemeinsame kleinere und größere Wanderungen in die umgebende Wüste ließen uns staunen über diese geheimnisvolle, faszinierende, unglaublich vielfältige Welt. Nach einigen Tagen wagte ich erste Alleingänge – die Orientie-rung ist dort relativ einfach und ungefährlich. Die Zeit verging wie im Flug und ich begriff: Ich muss die Wüste noch besser kennenlernen! Sie birgt etwas, das mich tief im Innersten anspricht und berührt, etwas, das ich im Alleingehen am besten erleben und spüren kann.

Zurück von der ersten Wüstenreise ließ mich dann dieser Gedanke nicht mehr los und ich suchte zielstrebig nach einer Möglichkeit zur Verwirklichung. Und wieder war es FriedEL, die mir zur zweiten Begegnung mit der Wüste verhalf. Ilse und ich durften im November 2008 erneut für zwei Wochen nach Bir Ga-bal – diesmal ohne Gruppe, und auch ohne vorgegebenes Programm. Jetzt hatte ich alle die Möglichkeiten, nach denen ich mich so gesehnt hatte. Zum Eingewöhnen an das Klima und zum Training für größere Touren machten wir in den ersten Tagen zunächst kleinere und dann immer größere Spaziergänge und Wanderungen, bis ich mich dann schließlich fit genug fühlte für die große Alleinwanderung hinauf auf das ca. 400 m höher gelegene Wüstenplateau.

Was ich bei dieser Wanderung und den danach noch folgenden weiteren Wüstengängen erlebte, will ich im Folgenden ein wenig beschreiben; nicht als chronologischen Bericht, sondern als den Versuch, die Wüste so zu beschreiben, wie sie auf mich gewirkt und was sie in mir bewirkt hat.

Für mich unerfahrenen Wüstenbesucher war dort in der Umgebung der Oase Dakhla die unglaubliche Vielfalt und Abwechslung an Formen, Farben und Landschaften am überraschendsten. Es gibt Sand-, Stein- und Lehmwüste; es gibt weite Ebenen und steile Berge; es gibt Kalkstein, Sandstein, Basalt und viele andere Gesteinsarten. Alles ist leicht fußläufig zu erreichen, und beim Wandern verändern sich die Landschaft und die optischen Eindrücke auf kürzesten Distanzen total. So ist wohl für jeden Menschen, der mit offenen Sinnen dort geht, die erste und auch die bleibende Reaktion das ehrfürchtige Staunen.

Bei mir stellte sich unverzüglich eine Hochstimmung ein. Ähnliche Gefühle, wenn auch wesentlich schwächer, kannte ich bisher nur beim Betrachten wunderbarer Kunstwerke in Museen oder beim Hören von bestimmter Musik. Dieses Glücksgefühl in der Wüste hat mich von Anfang bis zum Ende stets begleitet, und es dürfte wohl auch dafür verantwortlich sein, dass ich niemals auch nur eine Spur von Angst , Einsamkeit , Unsicherheit oder Verlassenheit empfand.

Doch es ist viel mehr, was der so weitgehend fremdbestimmte Mitteleuropäer dort völlig neu erfahren darf: Es gibt eine Weite, eine Freiheit, eine scheinbare Unendlichkeit des Raums und der Zeit, wie wir sie hier nie haben dürfen. Nirgends stehen dort Schilder mit Aufschriften wie „Betreten verboten“ oder „Kein Eingang. Privatbesitz“, „Bitte die Dünen nicht betreten“ oder „Bitte auf den Wegen bleiben“. Und: jeden Tag scheint die Sonne, immer ist schönes Wetter!

In der Wüstenebene, in der die Oase Dakhla, der Ort El Qasr sowie Bir Gabal mit dem Hotel und dem Chalet liegen, ist entlang der Straßen und der grünen Ackerflächen immer wieder Leben anzutreffen. Auf den Feldern und in den Gärten arbeiten Menschen, auf Wüstenpfaden zwischen dem Ort und den Fel-dern kann man Bauern auf Eseln reitend oder kleinen Eselskarren sitzend treffen. Fernab der kleinen Ortschaften findet man allerdings leider hin und wieder auch Reifenspuren von Geländewagen im Sand. Dennoch: nach nur wenigen Minuten Fußmarschs in die Wüste hinein wird es absolut still und einsam, und obwohl ich ganz selten Fußspuren von Menschen gesehen habe – tatsächlich begegnet bin nie jemandem. Wenn man Glück hat, kann man einen aufgescheuchten Wüstenfuchs beobachten; putzige kleine Käfer krabbeln häufig eifrig über den Sand und hinterlassen feine Spuren. Andere Spuren stammen von Schlangen oder Geckos, die jedoch nur selten zu sehen sind.

So traumhaft schön es da auch war – mich lockte von Anfang an die Besteigung des Bergabbruchs, der die Wüste hier „unten“ optisch und tatsächlich nach Norden begrenzt. Der recht anstrengende und teilweise nicht ungefährliche Aufstieg lohnt sich! Von unten nicht sichtbar erstreckt sich dort auf dem Pla-teau eine neue endlose Wüste, die durch nichts begrenzt zu sein scheint. Während unten stets die Bergkette als Orientierung (aber für mich auch als „Limitierung“) im Blickfeld steht, fand ich „oben“ das, was ich wirklich gesucht und ge-wünscht hatte: Einsamkeit und Ursprünglichkeit ohne jede Spur eines menschlichen Eingriffs. Und hier empfand ich in ganz besonderem Maße jenes „Glücksgefühl“, das ich bereits erwähnt habe. Ich machte mir bewusst, dass diese Landschaft wohl seit Jahrtausenden unverändert besteht. Ich „hörte“ eine nie gekannte Stille, die etwas anderes ist, als die „Ruhe“, die man (wenn auch selten) bei uns in der Natur noch finden kann. Diese völlige Abwesenheit eines jeden Geräuschs spornt offenbar das menschliche Gehör an, noch genauer zu lauschen, und was ich dann hörte, war alleine mein Atem, das Rauschen des Blutes in meinem Kopf und beim Gehen das leise Knirschen des Sandes unter meinen Füßen.

Eine optische Orientierung ist hier nicht mehr möglich. Natürlich kann man sich nach dem Sonnenstand richten oder die eigenen Spuren zurückverfolgen, sofern kein Sandsturm oder der Einbruch der Dunkelheit dies verhindern, doch die Landschaft selbst sieht in allen Richtungen ähnlich aus. Eine ganz zauberhafte, wohltuende Landschaft! Mir kam der Gedanke: wie von einem genialen Landschaftsgärtner mühevoll angelegt! Ringsum gleichartig und dennoch abwechslungsreich ist sie, mit Sandstreifen und wechselnden kleinen Hügeln, mit wunderschönen Steinformationen, die im Gegenlicht glitzern und bei Rückenlicht mit der ockerfarbenen Landschaft verschmelzen. Zunächst hatte ich hier nur einen Wunsch: laufen, laufen, laufen ... immer weiter. Doch dann irgendwann legte ich eine Rast ein, um noch besser die Stimmung empfinden, auf mich wirken lassen zu können.


Welche Stimmung?
Glück, Zufriedenheit, Ruhe, Sorglosigkeit, Leichtigkeit, Bedürfnislosigkeit, das Bewusstsein völlig neuer Nähe zum All und zum Schöpfer dieser ganzen Welt.

Vielleicht hat diese meine “Lieblingswüste” für manchen auch eine negative Seite: Ich habe dort absolut keine Spur von Leben gesehen, abgesehen von einem einzigen kleinen dornigen Strauch, der wunderbarerweise sogar Blüten trug. Auf dieser Wanderung von etlichen Stunden sah ich keine Tiere oder Spuren von Tieren, Menschen oder Fahrzeugen, ich fand keine Holzstücke oder weitere Pflanzen. Erstaunlich: ich habe dennoch nichts vermisst, ich habe die Wüste dort überhaupt nicht als “tot” empfunden, es war einfach nur schön. Wunder-schön.

Nie werde ich diese Eindrücke vergessen. Sie sind mir zum kostbaren Besitz geworden. Ich habe die Wüste erlebt als gewaltig, als wohltuend und freundlich, als bunt, vielseitig, faszinierend, als heilend. Ich war mir der Gefahren stets auch bewusst, aber ich habe mich nie geängstigt. (Mein GPS-Gerät und reichlich Trinkwasser hatte ich natürlich stets dabei.) Ich fühlte und fühle mich reich beschenkt. Ich durfte eine Welt erleben, wie es sie bei uns nicht gibt, und die in verschiedener Weise mein Denken und meine Erkenntnisse über die wichtigsten Fragen in mir beeinflusst hat.

Meine Eindrücke von “Wüste” sind beschränkt auf ein kleines Gebiet und einen kurzen Zeitraum. Gut kann ich mir vorstellen, dass andere Wüsten anders sind, dass Wüsten keineswegs immer so freundlich sind, dass tage- oder wochenlange Wüstendurchquerungen noch völlig andere Erfahrungen vermitteln können. Ich bin völlig zufrieden mit dem, was ich bekommen habe. Eine große Dankbarkeit erfüllt mich, eine leise innere Sehnsucht wird bleiben.


Dezember 2008



Den Beitrag für Kommentare und Fragen zu diesem Bericht findet ihr hier:
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