Demonstrierende Christen in Kairo

Hier könnt ihr Einsteigerfragen zu Ägyptologie, Tempeln, Götter usw. stellen, aber auch zur gegenwärtigen Kultur, dem Land und seinen Menschen Stellung beziehen

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Uli
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Demonstrierende Christen in Kairo

Beitragvon Uli » Sa 11 Dez, 2004 02:26

Zitat aus merkur-online:
Nach Angaben aus Sicherheitskreisen bewarfen die Demonstranten, die gegen die angebliche Entführung der Frau eines Priesters durch Muslime demonstrierten, die Polizisten mit Steinen.

:shock:

Den ganzen Artikel findet man hier:
http://www.merkur-online.de/nachrichten ... d1acde7745

Gruß
Uli

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Beitragvon Uli » Di 21 Dez, 2004 23:47

Das hört sich ja alles gar nicht mehr so offen an, wie ich Ägypten aus Erzählungen von Ägyptern kennen gelernt habe:
http://www.kath.net/detail.php?id=9243

Warum werden die plötzlich so radikal dort?
Ist das die allgemeine Weltentwicklung?

Traurig. Statt Fortschritt immer weiter Rückschritt überall.

Gruß
Uli

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Allerdings. Der Zug der Zeit.

Beitragvon nebtaui » Mi 22 Dez, 2004 07:45

Salam!

"Warum werden die plötzlich so radikal dort?"

Vermutlich, weil sie sich (zu recht?) von westlichen Industriestaaten sehr stark bedrängt fühlen und recht intensiv empfinden, daß man ihnen sowohl Glauben als auch Kultur und Bodenschätze entreißen will.

Seit vielen Jahren steht Ägypten unter Notstandsgesetzen, ein Umstand, an den nur wenige denken. Vielleicht, weil er in der tagesaktuellen Öffentlichkeit nur sehr untergeordnet eine Rolle spielt. Die Bürgerrechte sind massiv eingeschränkt, es gibt Zensur und einen starken Geheimdienst innerhalb des Militärs, der im Innenverhältnis die Zügel straff hält. Da gibt es auch schon mal nichtöffentliche, nächtliche Erschießungen, Internierungen und auch von der Folter wird gern Gebrauch gemacht. Prügelstrafe und andere körperliche Mißhandlungen in den Gefängnissen Ägyptens sind absolut üblich.
Nach den letzten, sehr blutigen Anschlägen hat es eine solche Erschießungs- und Verhaftungswelle gegeben; Mubarak spaßt nicht.

Doch irgendwann einmal, jedesmal mit jeder neuen Mißhandlungsinfo aus dem Irak, radikalisiert sich selbst der Gemäßigteste. Sehr viele Ägypter haben Verwandte im Irak und beobachten sehr genau die amerikanischen und britischen Bombardierungen, Internierungen, Mißhandlungen und fühlen sich jeden Tag ein bißchen mehr bedroht.
Wenn der Offensivdruck des Westens in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht nicht ganz schnell nachlässt, muss Ägypten früher oder später explodieren!

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Beitragvon Uli » Mi 22 Dez, 2004 08:08

Das mag ja alles sein, aber die ägyptischen Kopten sind ja keine Westler gegen die es zu kämpfen gilt, sondern die leben ja schon ewig dort. Und das friedlich neben den Moslems. Und soweit ich gehört habe, haben die sich früher nicht nur geduldet, sondern waren Nachbarn und Freunde. (zumindest in Kairo)

ach, die Welt könnte so schön sein...

Gruß
Uli

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Schon richtig!

Beitragvon nebtaui » Mi 22 Dez, 2004 09:39

Salam Uli!

Das Problem in Kairo ist unterm Strich kaum ein anderes als das, welches wir genau hier bei uns haben, nur wird es .... sagen wir: mit streckenweise unverständlicher Gewalt gelöst wo wir hier Gesetze für uns wirken lassen.

Der Orient nahm das mittlerweile in Europa gängige Kopftuchverbot zumindest kopfschüttelnd, meist aber durchaus vergrätzt zur Kenntnis. Dem mittelständlerischen Ägypter etwa stellt sich die französische und deutsche Wirklichkeit so dar, daß man seinen Glaubensschwestern hier mit der Gewalt des Gesetzes das Tuch vom Kopfe reißt und sowohl sie im Speziellen wie aber auch alle Muslime im Allgemeinen zurückstößt.
Jemand, dem das Kopftuch vorher egal war, nimmt jetzt regen Anteil daran und stilisiert es als Zeichen europäischer Ablehnung des Islams und als Drangsalierung seiner Glaubensbrüder hoch.

Manch einem reichts deshalb und er denkt sich: "Wenn die beschmierten Christen in Berlin meiner Schwester das Tuch vom Kopf reißen, reiße ich halt mal einem Kopten hier in Kairo den A..... auf!"
Allgemein scheint das Bedürfnis nach deutlicher Abgrenzung gegen das, was immer bedrohlichere Auswüchse anzunehmen scheint, beständig zu wachsen. Vielen wird das Gefühl vermittelt, sie müssen für ihre Kinder und Familien jetzt mit Gewalt verteidigen, was angegriffen wird = ihr Glaube.
Gefährliche Imame melden sich zu Wort, sickern aus undurchblickbaren Nachbarländern plötzlich auf und hetzen, was sie können und leisten genau damit dem Extremismus und der Gewalt deutlich Vorschub.

Du hast recht: armes, armes Ägypten. DAS hat es nu wirklich NICHT verdient.

Nebtaui
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Beitragvon Uli » Mi 12 Jan, 2005 00:06

wieder ein recht ausführlicher Bericht über die Streitereien zwischen Moslems und Kopten:

http://www.afrika.info/aktuell_detail.p ... 81&kp=news

Interessant unter anderem, dass es jetzt wohl auch gewalttätige Übergriffe in Minya gab. Das ist das Gebiet, das 2004 zum ersten Mal nach Jahren für den Tourismus freigegeben wurde (war vorher zu gefährlich da).

Wie virulent die Lage nach wie vor ist, zeigen die Zusammenstöße im oberägyptischen Minya. Dort wurden am 30. Dezember 80 koptische Christen verhaftet, nachdem bei Auseinandersetzungen um den Bau einer Kirche ein Muslim ums Leben kam. Die Gewalt brach aus, als eine Gruppe von Kopten ohne offizielle Genehmigung eine Kirche einrichten wollten.


Gruß
Uli