Cynthia Nelson: Doria Shafik - Egyptian Feminist.

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Conny-BS
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Cynthia Nelson: Doria Shafik - Egyptian Feminist.

Beitragvon Conny-BS » Mi 01 Jun, 2005 21:47

Hallo, kann mir jemand sagen ob es dieses Buch auch in der deutschen Sprache gibt??????????? Das ist alles was ich habe.
© Copyright 1998 Claudia Haj Ali
Auszug:
Sie stand auf dem Balkon, in Gedanken versunken. Minuten, so beobachtete es eine Nachbarin, verharrte sie regungslos in dieser Stellung. Dann drehte sie sich mit einer ruckartigen Bewegung um und kehrte ins Haus zurück - aber nur, um sich einen Stuhl zu holen. Diesen rückte sie dicht an das Geländer, stieg auf ihn und ließ sich aus dem sechsten Stock in die Tiefe fallen.
Am 20. September 1975 wählte die ägyptische Feministin Doria Shafik im Alter von 67 Jahren den Freitod. Ein ungewöhnliches Leben endete: komplex, widersprüchlich und kontrovers. Mehr als ein Jahrzehnt hatte Doria Shafik weltweit Schlagzeilen geliefert; die letzten 18 Jahre ihres Lebens war sie aus der Öffentlichkeit verbannt. Vergessen war, wie die internationale Presse sie beschrieb, die "parfümierte Führerin", die "Gefahr für die moslemische Nation", die "Radikale", die "Frau mit den 88 Augenbrauen" und, zu Lebzeiten wie postum, das größte Kompliment: "Shafik - der einzige Mann in Ägypten".
Doria Shafik - das ist die Geschichte des Zusammenpralls einer emanzipierten, religiösen Frau mit den aufkommenden nationalistischen Tendenzen nach dem zweiten Weltkrieg in Ägypten. Es ist die Geschichte einer arabischen Frau, die gegen die konservativen Mächte in ihrer islamisch-patriarchalisch geformten Gesellschaft das erste Wahlrecht für arabische Frauen erstreitet, die Geschichte einer bedeutenden Vorkämpferin heute so angesehener arabischer Frauenrechtlerinnen wie Fatima Mernissi oder Nawal Saadawi.
In der bemerkenswerten Biographie "Doria Shafik - Egyptian Feminist" hat die amerikanische Schriftstellerin Cynthia Nelson die dynamische und spirituelle Persönlichkeit Shafiks wiederauferstehen lassen. Zehn Jahre recherchierte die Autorin, durfte die unveröffentlichten Memoiren sowie Shafiks private Gedichte einsehen, führte lange Gespräche mit Shafiks Töchtern Aziza und Jehan Ragai, befragte Kollegen, Freunde und Gegner jener Frau, der es gelungen war, den größten arabischen Führer dieses Jahrhunderts, Gamal Abdel Nasser, in die Enge zu treiben, wofür sie einen hohen Preis zu bezahlen hatte.
Spektakulär hatte die feministische Ära in Ägypten mit Hoda Hanum Shaarawi (1879 - 1947) begonnen, die als erste moslemische Frau 1923 ihren Schleier ablegt und als erste Frau in der arabischen Welt 1925 eine feministische Organisation gründet, die "Vereinigung ägyptischer Feministinnen". Die erste Begegnung zwischen Shaarawi und Shafik 1928 ist der Beginn einer kontroversen Beziehung, die 20 Jahre andauern soll, letztlich aber daran scheitert, dass Shaarawi unter öffentlichem Druck ihrer "Schwester" die Solidarität versagt.
Früh zeichnet sich Doria Shafiks zukünftiger Weg ab. 1908 im Nildelta geboren und in den Provinzstädten Tanta und Mansoura aufgewachsen, erlebt sie schon als Kind ein soziales Umfeld, das sich vor allem durch Polygamie und Gewalt gegen Frauen auszeichnet. Nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums an der Sorbonne in Paris, wo sie im Fach Philosophie promoviert, kehrt Doria Shafik 1940 nach Ägypten zurück. Ihr Kopf ist voll mit rebellischen Gedanken, wie sie sich einer Moslemin von selbst verbieten. Mit dem Ziel vor Augen, das feministische Bewusstsein zu wecken, gründet sie in Kairo das Frauen-Magazin "La Femme Nouvelle".
In der Sache können die Gegner Doria Shafik nicht viel vorwerfen, da es ihr sogar gelingt, hohe Gelehrte der Al-Azhar-Universität, des islamischen Vatikans, davon zu überzeugen, dass sich ihr Engagement nicht gegen den Koran richtet, sondern die Lage der unterdrückten Frauen verbessern will. Doch ihre äußerliche, unägyptische Erscheinung, hochgewachsen und von schlanker Statur, der dunkle Teint, dazu Dorias modischer Stil sich zu kleiden, klassisch extravagant, geprägt durch ihre Studienaufenthalte in Paris, und ihre Kontakte zu Ausländern, all das lässt gegnerische Stimmen laut werden, sie sei keine wahre Ägypterin. Gezielte Gerüchte kursieren, sie vertrete anti-nationalistische Tendenzen. "Schreibt sie nicht in französischer Sprache?" "Ist sie nicht Herausgeberin eines französischen Magazins?" "Wurde sie nicht in Frankreich ausgebildet?" Die Kritiker verstehen es, Shafik auszugrenzen, als Vaterlandsverräterin abzustempeln und zwischen den Zeilen zu suggerieren: ist es nicht eine Fremde, die sich da in unsere innersten ägyptischen Angelegenheiten mischt.
Unter der nicht abreißenden öffentlichen Kritik an ihrer Identität als Ägypterin leidet Shafik bitter, und eine Frage verfolgt sie ihr ganzes Leben: "Woher kommt der Zwist zwischen mir und meiner Umgebung, in der mir zu leben bestimmt ist?" Das Erscheinen der zweiten Zeitschrift "Bint El Nil" (Tochter des Nils) 1945, nun in arabischer Sprache, nimmt den Kritikern zwar diese Angriffsfläche, doch an der bösartigen Vehemenz der permanenten öffentlichen Demontage Doria Shafiks ändert sich nichts.
1948 geht Shafik in die Offensive. Sie gründet die Organisation "Bint El Nil Union" und fixiert sich darauf, "die ägyptische Frau aus ihrem Dilemma zu befreien, unter dem sie über Jahrhunderte hinweg gelitten hat." Die Organisation macht sich zur Aufgabe, das aktive und passive Wahlrecht für Frauen einzufordern, die Polygamie abzuschaffen sowie europäisches Scheidungsrecht in Ägypten einzuführen, wo bis heute der Mann ohne Angaben von Gründen das sofortige Recht zur Scheidung hat, während die Frau triftige Gründe vor Gericht darlegen muss - und dabei noch oft scheitert.
Von 1951 bis 1957 erreichen Shafiks Aktivitäten ihren Höhepunkt, in Zeiten großer innerer sozialer und politischer Umwälzungen: Die Freien Offiziere stürzen den König und rufen eine Art Militär-Republik aus. Doria Shafik stürmt noch unter König Faruk eine Plenardebatte des Parlaments, um vor den empörten Abgeordneten die Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben einzufordern, für die adäquate Bildung die Voraussetzung sei. 1 500 Frauen begleiteten sie bei ihrem Marsch und belagern vier Stunden das Parlamentsgebäude. Kurz darauf beginnt Shafik ihren ersten Hungerstreik, der von der Weltöffentlichkeit mitverfolgt wird und sie unantastbar für das wütende männliche Establishment Ägyptens macht, das fünf Jahre später den Frauen die Rechte gewährt, für die Shafik protestiert.
Ihrem Aufschrei, Ägypten befände sich unter Gamal Abdel Nasser auf dem besten Wege zur Diktatur, unterstreicht sie im Februar 1957 mit einem zweiten Hungerstreik. Ehe die Weltöffentlichkeit davon erfährt, stellt Präsident Nasser die Frauenrechtlerin unter Hausarrest. Das Ende beginnt. Ihre Magazine und Bücher werden auf den Index gesetzt und aus dem Handel gezogen, ihre beiden Verlagshäuser werden geschlossen. Ihr Name darf in der ausschließlich staatlich gelenkten Presse nicht mehr erscheinen. Die öffentliche Frau Doria Shafik - per Ukas gibt es sie einfach nicht mehr.
Der Leser von Cynthia Nelsons Biographie gewinnt Einblick in ein tragisches Schicksal, bekommt die Frau, die Intellektuelle, die Kämpferin zu sehen, wobei Shafiks Gedichte und lyrische Notizen auf traurig stimmende Weise die melancholische Seite der Feministin zeichnen. Kurz vor Shafiks Freitod begegnet ein Nachbar Doria Shafik im Aufzug ihres Hauses und erinnert sich später: "Sie war ungeschminkt, trug ein gewöhnliches Kleid. Früher hatte man ihre Schönheit gepriesen, sie war die Königin der Eleganz. Und jetzt - ihr Gesicht war bleich; sie weinte - ohne, dass ihr Tränen über die Wangen liefen; ihre Lippen zitterten, ohne dabei ein Wort auszusprechen; ihr Herz blutete, ohne einen Tropfen Blut zu verlieren; ihre Seele schrie - tonlos. Diese Frau schien einem Geist näher zu sein, eine tote Frau, die sich bewegt, stumm trotz ihres Liedes."
Nachdem sie mehr als 18 Jahre völlig zurückgezogen und einsam gelebt hat, begeht Doria Shafik 1975 Selbstmord. In ihrer Abgeschiedenheit verstummt auch ihre schöpferische Kunst, aus der sie einst Kraft zog. Verdammt zur Sprachlosigkeit sterben ihr Mut und ihre Zuversicht.
Das tragische Ende Doria Shafiks verständlich zu machen, gelingt auch der Biographin Nelson nicht gänzlich. Die Scheidung von ihrem Mann, der von der belastenden Prominenz seiner Frau überfordert ist, und die Heirat ihrer Töchter stürzen Shafik in eine tiefe, schwer zu dokumentierende Depression der Einsamkeit, die in ihr den Entschluss zum Freitod reifen lässt. In ihr Tagebuch schreibt sie zum Abschied: "Dieses Lied besitzt mich seit meiner frühesten Kindheit und musste letztlich gesungen werden. Nicht nur mein Leben hindurch, das ein Kunstwerk hätte werden sollen, sondern auch durch den Rhythmus, nach dem ich lange vergeblich suchte. Zuerst, als ich noch ein Kind war, zerronn das Lied meiner Seele zwischen meinen Fingern auf dem Klavier in Tanta und Mansoura, dann in Paris während meines Studiums, wo ich Cello-Stunden nehmen wollte oder sogar Malerei. Ich war auf der Suche nach etwas, ohne es erklären zu können. Kunst, ja! Doch ein wenig mehr als Kunst. Eine Kunst, die aber gleichzeitig auch Philosophie sein sollte, das ist sozusagen im wesentlichen eine Einstellung, eine Strecke, ein Weg, der die Zukunft weist."
Die Zukunft wies in den Tod, der Doria Shafik ein letztes Mal auf die ersten Seiten der Weltpresse brachte, die sie auch jetzt als "einzigen Mann Ägyptens" bezeichnete. Doch wie vergessen sie ist, davon zeugt auch das renommierte Munzinger Biographien-Archiv. Der letzte aktualisierte Eintrag über Doria Shafik stammt dort aus dem Jahr 1957 - 18 Jahre vor ihrem Sprung vom Balkon im sechsten Stock ihres Hauses in Kairo: "...wurde sie (nach ihrem Hungerstreik) ... aus dem von ihr selbst gegründeten Verband der 'Töchter des Nils' ausgeschlossen. Man warf ihr vor, ihr Benehmen schade im Ausland dem Ruf der ägyptischen Frauen".
Ist das nicht spannend??
Gruß conny :wink:
"Al-barr yib `id `an ash-sharr"
(Die Wüste hält vom Schlechten fern - altes Beduinen Sprichwort)

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