Aktuelle Sicherheitslage für Reisende und UrlauberInnen

Hier Fragen und Infos die das Reisen nach bzw. in Ägypten betreffen (keine Nennung von Veranstaltern / Anbietern)

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Anchese
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Beitragvon Anchese » Fr 25 Nov, 2011 19:17

hallo,
nein ich habe das auch nicht als direkte Bedrohung empfunden.
Dann hätte ich auch was gesagt.
Aber erschrocken habe ich mich schon, weil es ja erst ca. 7.30 war und ich ganz alleine im Freilichtmuseum war.

Gruß
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Meretaton
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Beitragvon Meretaton » Fr 25 Nov, 2011 19:35

Manchmal wundere ich mich auch, was in Ägypten alles eine Waffe tragen darf bzw. bei sich trägt.
Klar erschrickt man, wenn geschossen wird, leider ballern die öfter mal so aus Spaß rum, was ich sehr bedenklich finde.

DJ

Beitragvon DJ » Sa 26 Nov, 2011 17:28

zu rrb: wir sind aktuell in kharga. noch hinzufuegen moechten wir, dass es solche vorfaelle auch vor der revolution gab. ueber die haeufigkeit jetzt koennen wir nichts sagen. hier hat uns zumindest niemand vor dem herumspazieren in der stadt gewarnt. die sonst uebliche polizeibegleitung ab der hoteltuer gibt es nicht (mehr) - vielleicht nur fuer uns einzelne.

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Beitragvon rrb » So 27 Nov, 2011 16:52

Zu Kaaper: Genau deswegen irritiert es mich. Die Geschichte mit dem Kanadier, der an einer von einer Dorfmiliz an der Autobahn errichteten Straßensperre erschossen wurde, weil sein Taxifahrer dort nicht anhielt, gehört für mich auch in die Kategorie beunruhigender Nachrichten.
Ich reise ja auch nicht anders als DJ, mal abgesehen davon, dass ich mir inzwischen (falls vorhanden) etwas komfortablere Unterkünfte gönne, fand aber bisher genau die Gegenden am sichersten, wo die Leute nicht an Touristen gewöhnt sind. Da musste man sich der Bauern Einladungen und Geschenke erwehren, nicht aber ihrer Sicheln! Nun fällt es mir zunehmend schwer, andere dazu zu ermuntern, das Land auch abseits ausgetretener Pfade auf eigene Faust zu endecken.

DJ

Beitragvon DJ » Di 06 Dez, 2011 20:28

Liebe Leute, hier ein fuer alle relevanter Teil einer Email, die ich heute an Freunde verschickt habe.

...

Etwas ausfuehrlicher moechte und muss ich zur Sicherheitslage schreiben. Die Lage ist ruhig, aber einigermassen unuebersichtlich. Wir geben uns alle Muehe, keine unnoetigen Risiken einzugehen, aber die permanente Lageeinschaetzung ist doch anstrengend. Und das, obwohl wir beide nicht gerade AnfaengerInnen in Sachen Aegypten sind. Den klassischen Hotelurlaub und die Nilkreuzfahrt schaetze ich nach wie vor als problemlos ein, genauso den Strandurlaub am Roten Meer. Bei allen anderen Reisen sei der Ehrlichkeit halber auf die Hinweise des Auswaertigen Amtes verwiesen. Die sind zwar viel zu pauschal, aber gerade AnfaengerInnen sollten sich daran halten. Reisen im Land sollten gut ueberlegt sein, das Risiko schaetze ich als hoeher ein als zuvor. Im Zweifel wuerde ich eher abraten.

Wie komme ich zu dieser Einschaetzung?

Die bislang weltberuehmte Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Aegypter hat sich deutlich veraendert - unsere Wahrnehmung. Die ueberwiegende Mehrheit der Menschen ist nach wie vor freundlich, aber deutlich reserviert gegenueber westlich aussehenden Menschen. Andere zeigen offen ihre Missbilligung unserer Anwesenheit (kleine Gruppe). Diese Reserviertheit (Skepsis bzw. Abneigung) war in den Jahren zuvor so nicht spuerbar. Zumindest hat sie sehr zugenommen. Die bislang so liebenswerten Menschen sind sehr distanziert geworden. Wenn sie dann hoeren, dass man aus Deutschland kommt, ist die Erleichterung deutlich sichtbar. Aber es ist kein Vergleich zur hellen Begeisterung vergangener Jahre. Die Propaganda der Regierung, die bei allen Problemen auslaendische Elemente im Spiel sieht, scheint Wirkung zu zeigen. Der wachsende Einfluss der Salafisten ist sicherlich auch nicht unschuldig. An einer einfachen Sache laesst sich das neue Verhalten gegenueber uns/mir deutlich aufzeigen: es hat bislang so gut wie keine(!) Einladung zum Tee gegeben. Frueher war das Gang und Gebe, bei jeder sich (nicht) bietenden Gelegenheit. Es wird offen geaeussert, dass man Israelis und Amerikaner gleich umbringen wuerde - vermutlich eine typisch aegyptische Uebertreibung, aber fuer uns Grund zur Sorge. Wer sagt, dass alle zuerst nach der Nationalitaet fragen? Vor einiger Zeit wurde hier in Assuan ein Amerikaner krankenhausreif geschlagen; einfach so.

Ebenfalls deutlich veraendert hat sich der Status von Europaeern. Frueher waren wir quasi heilig, niemand wollte Probleme mit Europaeern haben. Jetzt ist das deutlich anders. Es ist vielleicht normaler, aber unser Sicherheitsempfinden ist dadurch doch beeintraechtigt. Der uns quasi natuerlicherweise umgebende Schutz ist kaum noch da.

Die Sicherheitslage allgemein hat sich verschlechtert. Das betrifft Aegypter wie uns. Privatleute druecken in ihren Autos die Verriegelung waehrend der Fahrt zu. AnwohnerInnen raten davon ab, in bestimmte Gebiete zu gehen, weil sich dort "Thugs", also zwielichtiges Pack herum treiben. Es gibt mehr Taschen- und sonstige Diebstaehle. Aegyptische Zeitungen berichten ueber vermehrte Entfuehrungen. Es gibt offen ausgetragene Fehden, in die Unbeteiligte aus Versehen hineingezogen werden koennen - sei es, weil sie gerade dort vorbeigehen. Im Gegensatz zu frueher muss man also schauen, wenn man in die Wueste geht. Es ist dauerhaft noetig, die Umgebung nach naeherkommenden Personen zu sichten. Wo die soziale Kontrolle fehlt, ist es potenziell brenzlig. Das war frueher anders, als man einfach so vollkommen unvorsichtig ueberall herumlaufen konnte. Das geht jetzt nicht mehr. Man muss Augen und Ohren offenhalten.

All das mag sich aus dem fernen Deutschland dramatischer anhoeren, als es sich hier vor Ort darstellt. Ich moechte nur ausdruecken, dass ein stark erhoehtes Mass an Wachsamkeit noetig ist. Aegypten ist kein Kriegsgebiet und kein zerfallender Staat. Aber das Land befindet sich gerade in einer Umbruchphase, wo die neu gewonnene (temporaere?) Freiheit auch all den Bodensatz der Gesellschaft aktiviert, auf den man gern verzichten koennte. Dazu kommt eine allgemein veraenderte Sichtweise auf Auslaender.

Damit ihr euch vorstellen koennt, was wir bislang selbst erlebt haben, einige Schilderungen. Die grundsaetzlich veraenderte Atmosphaere kann ich nicht darstellen, deshalb Beispiele fuer besondere Situationen:

In Luxor Innenstadt versuchte am helligten Tag (vor dem Iberotel) ein Taschendieb den Rucksack meiner Mitreisenden zu oeffnen (erfolgreich) und Sachen daraus zu entwenden (fehlgeschlagen). Wir haben ihn erwischt, aber zu welcher Polizei haette man ihn bringen sollen?

Beim Bergwandern in Luxor begegnete uns ploetzlich mitten in den Bergen ein Aegypter, der uns sehr dubios erschien. Als er uns entdeckte, gab er weiter nach oben Rufzeichen. Offensichtlich ein Hinweis. Wir haben uns einige Zeit auf eine hoehergelegene Position mit guter Rundumsicht zurueckgezogen und beobachtet. Den Abstieg haben wir nicht fuer sinnvoll gehalten, da wir nicht hinter einer Ecke jemandem begegnen wollten. Es stellte sich dann raus, dass er wohl von der Polizei war (zumindest sagte es das), aber die Lage war uns nicht geheuer. Wir haben die Wanderung abgebrochen. Nachher erschien es zumindest mir so, dass wir den Polizisten in einer verfaenglichen Situation mit einem aelteren europaeischen Herrn gestoert haben. Aber das war zu dem Moment nicht absehbar. Wer weiss, welche der beruechtigten Banden haette unterwegs sein koennen.

Hier in Assuan haben wir heute eine Tour nach Shellal (in der Naehe des Assuandamms) abgebrochen. Dort suchten wir antike Steinbrueche, aber es ist ein Steinbruch- und Industriegebiet. Dazu ueberall Militaerbasen und -gebiet. Dort waren nur wenige Leute unterwegs und die Gegend war uns nicht geheuer. Zum einen ist das Militaer derzeit besonders nervoes wegen Spionen. Zum anderen trafen wir Arbeiter, die uns mitteilten, dass sie uns gleich umgebracht haetten, wenn wir Israelis oder Amis waeren. Uns war das alles nicht geheuer. Frueher haette man in so einem Areal (vielleicht unnatuerlicherweise) keine Sorgen haben muessen. Heute muss man wachsam schauen, ob Einzelpersonen mit boesen Absichten in der Naehe sind bzw. auftauchen.

Als wir zum Hotel zurueck kamen, war direckt neben dem Hotel auf der Strasse eine Blutlache. Ein Mann wurde von einer groesseren Menge zu einem motorradaehnlichen Gefaehrt gebracht. Ich sah ein gut einen Meter grosses Schwert. Der Mann fuhr davon. Den Geschaedigten haben wir nicht sehen koennen, aber entscheidend: die Polizei stand tatenlos daneben und machte nichts. Vielleicht eine Familienfehde, aber beunruhigend - mitten in der Innenstadt von Aswan im Touristenbazar.

Bitte macht euch keine Sorgen um uns, wir passen auf und sind vorsichtig. Wenn uns etwas unsicher vorkommt oder wir ein schlechtes Gefuehl haben, lassen wir's. Aber wir raten dringend dazu, die unuebersichtliche Lage nicht zu unterschaetzen und nicht leichtsinnig die extrem sichere Lage der letzten Jahre immer noch als gegeben anzunehmen.

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Beitragvon Meretaton » Di 06 Dez, 2011 21:51

Danke für die subjektive Berichterstattung. Ich weiß ja wer es schreibt, deshalb bezweifel ich diese Aussagen in keinster Weise.

Habt trotzddem weiterhin Obacht und seid vorsichtig, was abgelegene Ecken angeht.

Solche Sachen hört man in letzter Zeit leider immer öfter.
Habt trotzdem eine schöne Zeit weiterhin und lassst von Euch hören.

Gruß Meretaton

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Beitragvon KaraBenNemsi » Di 06 Dez, 2011 22:11

@DJ
vielen Dank für Deine Einschätzung
warst du auch in Kairo? Dort ist es doch bestimmt noch gefährlicher (Megacity usw) würdest uns da auch abraten?

DJ

Beitragvon DJ » Mi 07 Dez, 2011 19:37

ich war in kairo, allerdings ende oktober. dort war alles ruhig und ich konnte vom sicherheitsgefuehl im zentrum keinen unterschied feststellen.

hier nochmal eine praezisierung meiner aussagen von gestern: organisierte reisen wie nilkreuzfahrten, aber auch ausfluege mit dem taxifahrer des vertrauens sind das eine. aber "einfach so" umher reisen ist etwas anderes. die standardsehenswuerdigkeiten halte ich fuer nicht so problematisch. allein ueberall herumlaufen, moeglichst noch nach einbruch der dunkelheit wuerde ich nicht mehr.

aber es gibt nichts drumrum zu reden, die bisherige 100%ige sicherheit gibt es nicht mehr.

natuerlich ist mein bericht subjektiv, aber das ist ja ok. es sind eben meine eindruecke. ich schreibe nicht die absolute wahrheit, sondern meine lageeinschaetzung. die kann zur meinungsbildung beitragen, diese aber nicht ersetzen.

DJ

Beitragvon DJ » Mi 07 Dez, 2011 19:41

noch ein nachtrag: die reisehinweise des AA halte ich grundsaetzlich derzeit fuer angebracht. allerdings ist es schwachsinn, dass von reisen ueberall hin abgeraten wird, aber nicht nach kairo und alex. warum sollte es bzw. in der oase dachla gefaehrlicher sein als in einem nicht zentralen stadtteil von kairo oder alex? da arbeitet das AA eigentlich zu grob.

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Beitragvon KaraBenNemsi » Do 08 Dez, 2011 16:22

vielen dank für deine hinweise,,
wir beobachten noch, bis märz dauert ja noch ich gehe davon aus das wir fliegen

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Beitragvon monja » Do 08 Dez, 2011 22:46

Ich bin jetzt seit einer Woche in Luxor.
Kann nur berichten, was ich selbst persönlich erlebte.
Es ist wie immer, keine Probleme, alles ruhig wo ich war.
Die Händler - Taxifahrer - usw. nervten nicht mehr als gewohnt.
Ich empfand es 2004 und 2005 schlimmer.
Wir sind auch bisher zwei Mal über den Basar gelaufen, war alles wie gewohnt.
Allerdings hat man uns geraten nicht den Einheimischen Teil des Basars zu besuchen, wenn dann gut auf die Handtasche aufpassen.
Wir wollten sowieso nicht dort hin, halten uns nie lange auf dem Basar auf.

Gruß Monja.

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Beitragvon rrb » Fr 16 Dez, 2011 01:19

Ganz vielen Dank an DJ für die sehr differenzierte Einschätzung vom 6.12. Ägypten scheint mir einen aus anderen Ländern nur zu bekannten Weg zu nehmen: Dereinst für Individualisten reizvolle und interessante Regionen (z.B. Afghanistan oder Syrien) entwickeln sich zu No-Go-Areas. Mein (provokanter) Rat: Besucht die autoritären Staaten, ob nun Iran, Nordkorea oder Eritrea, solange die Diktatoren dort noch fest im Sattel sind. Denn später wird es dort unsicher und ungemütlich.

Daniel Jackson
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Beitragvon Daniel Jackson » Mo 26 Dez, 2011 21:59

Der slovenische Botschafter wurde für einen Spion gehalten und verprügelt.
http://english.ahram.org.eg/NewsContent ... p-in-Cairo’s-Shubra-d.aspx

Diese Gefahr besteht derzeit grundsätzlich für alle Ausländer, die sich vermeintlich verdächtig verhalten. Reisen außerhalb der Gebiete am Roten Meer und abgesehen von Nilkreuzfahrten und organisierten Gruppentouren bergen meiner Meinung nach derzeit ein stark erhöhtes Risiko. Man sollte sich dessen bewusst sein.
Autor des Reiseführers "ÄGYPTEN - DAS NILTAL von Kairo bis Abu Simbel"
Geschichten aus und über Ägypten: Toms-Notes.com

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Beitragvon Daniel Jackson » Mo 26 Dez, 2011 22:12

Bei Al Masry Al Youm berichtet ein amerikanischer Journalist, wie er auf dem Weg von der Arbeit in Kairo (Garden City) zum Midan Felaki (Nähe Midan Talat Harb) vom Militär verhaftet wurde, weil er verdächtig gelaufen sein soll. Al Masry Al Youm führt das auf die wachsende Paranoia vor Ausländern ("ausländische Finger" werden vom Militär stets für allerlei Chaos und Demonstrationen und Zusammenstöße verantwortlich gemacht) zurück.
http://www.almasryalyoum.com/en/node/570406

Ein weiterer deutlicher Hinweis, dass man als alleinreisende/r Ausländer/in derzeit ein stark erhöhtes Risiko eingeht.
Autor des Reiseführers "ÄGYPTEN - DAS NILTAL von Kairo bis Abu Simbel"

Geschichten aus und über Ägypten: Toms-Notes.com

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Beitragvon Daniel Jackson » Mi 28 Dez, 2011 16:44

Zur Sicherheitslage einige Nachgedanken nach der Rückkehr von meiner zweimonatigen Reise:

Ich habe mich bislang in Ägypten nie unsicher oder gar gefährdet gefühlt. Ich bin nachts im dunkeln durch einsame Gassen spaziert, bin mutterseelenallein durch Felder und Wadis gelaufen und habe bedenkenlos Häuser von Menschen besucht. Wenn mir jemand etwas Interessantes zeigen wollte, bin ich vollkommen bedenkenlos mitgegangen, auch wenn dann weit und breit niemand mehr in Sicht- oder gar Hörweite war.

Das hat sich grundlegend verändert - leider! Ich schätze die Lage jetzt als sehr viel schwieriger ein und sehe ein deutlich erhöhtes Sicherheitsrisiko. Bislang bin ich nie durch unnötige Panikmache oder eine besonders pessimistische Lageeinschätzung aufgefallen, aber das einst so sichere Reiseland existiert in meinen Augen nicht mehr. Zunächst mein Fazit und dann meine Begründung:

Reisen in die Urlaubsgebiete am Roten Meer (Südsinai-Küste und Küste von El Gouna bis in den Süden) halte ich nach wie vor für unproblematisch. Im Gouvernement Red Sea fand ich eine arbeitende Polizei vor, die Menschen leben fast ausschließlich vom Tourismus, die Islamisten haben bei den Wahlen keine Mehrheit errungen und die Orte sind in meinen Augen alles künstliche Inseln der Ruhe im Land.
Nilkreuzfahrten halte ich ebenfalls für relativ unbedenklich, da Tourist stets in Gruppen auftaucht und keine nennenswerten Strecken über Land fährt. Der Aufenthalt in Luxor und Theben West dürfte in den zentralen Bereichen mit den geöffneten Sehenswürdigkeiten ebenfalls unbedenklich sein, wenn man von verstärkt auftretenden Taschendieben absieht. Das wird so ähnlich mit Abstrichen auch für Aswan gelten dürfen, sofern man die Ziele außerhalb wie Philae und die Staudämme mit dem Taxi ansteuert.
Die Oasen möchte ich nicht abschließend beurteilen, weil ich keinen Vergleich zur Zeit vor der Revolution habe. Zumindest Baharija und Dachla halte ich für vollkommen unproblematisch, da klein und überschaubar samt hoher sozialer Kontrolle. Hier verstehe ich die Meinung des AA nicht, welches von Reisen dringend abrät.

Für Kairo und das Niltal (abgesehen von den zentralen Bereichen in Luxor und Aswan) sehe ich ein erhebliches Sicherheitsrisiko für Reisende, welches in seiner Qualität vollkommen neu ist. Ich würde derzeit von Reisen dorthin dringend abraten, insbesondere für Einzelreisende oder Kleinstgruppen (2-3 Personen). (Das dürfte so auch für den zentralen und erst recht nördlichen Sinai gelten. Beide Gebiete würde ich u.a. wegen der außerdem stattfindenden Armeeoperationen zur Sicherung des Sinai vorsichtshalber meiden.) Zu diesem Schluss komme ich aus folgenden Gründen:

1) Nicht arbeitende bzw. verschwundene Polizei
Abgesehen vom Gouvernement Red Sea war die Polizei de facto kaum existent. Beispiele:
- auf dem gesamten Giza-Plateau traf ich Anfang November insgesamt 5 Polizisten an;
- im Tal der Könige waren es samt Parkplatzbewachung Mitte Dezember 6 Polizisten (keine Anzug- oder Galabijaträger in Zivil);
- in Karnak waren Mitte Dezember insgesamt samt Eingangskontrolle 6 Polizisten zu finden (trotz intensiver Suche)
- Checkpoints an den Wüstenstraßen waren vollkommen unbesetzt
- Sämtliche Positionen der Verkehrspolizisten in Luxor bzw. Kairo Downtown waren unbesetzt
- die überall herumstehenden Polizisten sind aus dem Stadtbild nahezu komplett verschwunden
Darüber hinaus scheint die vorhandene Polizei nicht zu arbeiten, sofern sie nicht gerade Demokratieaktivisten verhaftet oder Demonstranten verprügelt. Beispiele:
- Ein Nachbar (eines Freundes) aus Kharga wurde innerhalb eines Monats 2x in seiner Wohnung ausgeraubt. Er erkannte den Täter, ging zur Polizei und wurde darauf hingewiesen, er solle mit seinen Problemen selbst zurecht kommen. "Man habe es ja so gewollt."
- In Aswan wurde am helligten Nachmittag direkt vor meinem Hotel im Touristensouk eine größere Blutlache verursacht. Das Opfer sah ich nicht, nur einen Mann mit großem Schwert, der zu einem Auto geleitet wurde und davon fuhr. Die Polizei stand daneben und sah zu. Es soll sich um eine "offene Rechnung" gehandelt haben, berichteten Augenzeugen.
- In Luxor erwischten wir am helligten Tag einen Taschendieb, der versucht hatte, den Rucksack meiner Mitreisenden auszuräumen. An welche Polizei hätte man sich wenden sollen?
- Selbst in Luxor fahren mittlerweile 8-10 Jährige Motorrad, die mit den Füßen nicht einmal auf den Boden kommen. Die Polizei schaut zu. Menschen aus Luxor berichten, dass der Verkehr deutlich gefährlicher geworden sei.
- Eine ganze Reihe von Ägyptern (teils langjährig bekannte) beschwerte sich mir gegenüber, dass es unzählige Diebstähle gebe, die Polizei jedoch nichts unternähme. Das ginge soweit, dass die Polizeigeneräle gegenüber sich beschwerenden Dorfbürgermeistern mitteilten, sie fühlten sich für die Sicherheit nicht mehr zuständig.
- Bei Familienfehden in Mittelägypten liest man in der Zeitung, dass die Polizei zwar anwesend war, aber nicht einschritt. Im Fall der Fehde bei Dishna, der später ein Kanadier im durchfahrenden Taxi im Kreuzfeuer zum Opfer fiel, ließ sich die Polizei wenige Tage zuvor bei Al Masry Al Youm zitieren: Sie sei vor Ort und beobachte die Lage, wolle aber nicht zur Konfliktpartei werden und unternehme deshalb nichts. Das müssten die Familien selbst regeln.
Es lassen sich sicherlich zahlreiche weitere Beispiele anführen. Durch den Totalausfall der Polizei ist ein Klima der Straflosigkeit entstanden, welches sich in Kombination mit den noch immer frei herumlaufenden Häftlingen fatal auswirkt.

Wir selbst hatten bspw. einen Zwischenfall mit einem mit Sichel bewaffneten Mann in Kharga. Wir hatten ein römisches Fort besucht, welches von einer Sanddüne von den ca. 100m entfernten Feldern und Häusern getrennt wurde. Somit war keine soziale Kontrolle vorhanden. Der Mann tauchte auf und wollte meiner Mitreisenden an die Wäsche. Nur mit viel Glück und (...) gelang es uns, den Mann zu verjagen.
Die Nachbarin eines Freundes war mit dem Auto von Marsa Alam nach Edfu unterwegs und entdeckte auf der Strecke einen vermeintlichen Unfall. Glücklicherweise fuhr sie zunächst weiter und entdeckte hinter der nächsten Kurve rund ein Dutzend Bewaffnete auf Motorrädern. Sie gab Vollgas und entkam so dem vermutlich geplanten Überfall. Viele Ägypter erzählten mir, sie selbst führen nur noch mit verriegelten Türen im Auto. Sogar Minibusse (in denen ich fuhr) verriegelten die Türen während der Fahrt.

2) Miserable Informationslage
Die Informationslage über die Sicherheitssituation ist vor Ort miserabel. Über viele Dinge wird auch in den ägyptischen Medien gar nicht berichtet, solange es nicht um Kairo geht. Beispiele:
- So war der Tempel in Abydos wegen eines Gasstreiks rund 14 Tage blockiert, ohne dass davon etwas bekannt wurde. Erst ein Reisender berichtete später, dass man ihm bei seiner Ankunft in Abydos mitteilte, dass der Tempel erst seit dem Tag zuvor wieder geöffnet sei.
- Bei meinem Besuch in Kom Ombo waren in der Stadt über längere Zeit Schüsse zu hören, ein Militärhubschrauber kreiste über der Stadt. Man fand nirgendwo auch nur eine Nachricht darüber.
- Es sollen in den vergangenen Wochen mindestens 2 Kirchen in Oberägypten abgebrannt worden sein, ohne dass man dazu irgendwas gelesen hätte.
- Bei Al Masry al Youm laß man im November von einer größeren Auseinandersetzung in einer Deltastadt, welche das Militär beendet hatte. In diesem Zusammenhang wurde darauf verwiesen, dass es bereits einige Wochen zuvor eine größere Auseinandersetzung mit mehreren Toten gegeben hatte - über die seinerzeit niemand berichtet hatte.

Ergänzend kommt hinzu, dass sich die Reisehinweise der europäischen Länder eklatant widersprechen. So rät z.B. das AA immer noch dazu, dass man seine Reisen u.a. auf Kairo beschränken sollte. Hingegen warnen die Kollegen aus Österreich ausdrücklich vor Reisen nach Kairo. Grundsätzlich fehlen sämtliche Informationen, wie man überhaupt zur jeweiligen Einschätzung kommt. Eine Ausnahme bilden da nur die Engländer.
Auch scheinen die Reisehinweise des AA nicht einheitlich zu sein: In Baharija trafen wir Anfang November deutsche Residents aus Kairo. Sie waren nach eigener Aussage von der Botschaft wenige Tage zuvor angerufen worden. Die Botschaft teilte ihnen mit, dass es eine "kurzfristige ReiseWARNUNG" für Mittelägypten gebe und man keinesfalls dorthin reisen sollte. Es sollen auch Reiseveranstalter darüber informiert worden sein. Die Deutschen riefen darauf hin Freunde aus Kairo an, die ebenfalls von der Botschaft informiert worden waren. Die deutschen Residents in Luxor wurden hingegen nicht informiert und im Internet fand sich auch keinerlei Hinweis. Sowas trägt nicht gerade zur Vertrauensbildung bei.

Es ist also vor Ort kaum abschätzbar, welche Regionen aktuell besonders problematisch sind.

3) Man sieht Ausländer als Unruhestifter und Spione
Hier sehe ich das mit weitem Abstand größte Problem. Die Stimmung gegenüber Ausländern hat sich grundlegend geändert. Zwar gibt es noch immer viele freundliche Menschen, aber es sind deutlich weniger geworden. Die bislang fast unausweichlichen Einladungen zum Tee, Essen u.a. gab es dieses Mal fast nicht. Man begegnete uns oftmals äußerst skeptisch und beäugte uns kritisch. Die bisherige Offenherzigkeit und Begeisterung über Besucher haben wir bis auf Ausnahmen so nicht mehr erfahren. Ich führe das auf zwei wesentliche Gründe zurück.
Zum einen steigt der gesellschaftliche Einfluss der redikalen Salafisten, wie die Wahlergebnisse mit rund 25-30% erschreckend-eindrucksvoll zeigen. Die sehen westliche Touristen sowieso als Übel, welches es zurückzudrängen gilt. Wir Ungläubigen werden als moralisch und menschlich minderwertig betrachtet, sind Dreck. Selten habe ich eine derart herablassende und arrogante Behandlung durch einzelne Personen erleben dürfen, wie in dieser Reise.
Zum anderen weisen Regierung und Militärrat bei jeder Art von Problemen (Maspero, Zusammenstöße Sh. Mohammad Mahmoud und Qasr al-Aini, Pipelinesprengungen, schlechte Sicherheitslage usw.) "ausländischen Elementen" die Schuld zu. Ausländer sind an allem Schuld, perfekte Sündenböcke. Viele Menschen haben leider nie gelernt, solche Aussagen zu hinterfragen und glauben alles sofort. (Bsp.: Bei den jüngsten Auseinandersetzungen in Kairo entstand ein Video, welches einen Armeeoffizier zeigt, der mit seiner Waffe auf Demonstranten feuert. Der Militärrat behauptete daraufhin in einer Pressekonferenz, es habe sich um eine Wasserpistole gehandelt - kein Scherz! Die Menschen glauben das, ich hörte mehrfach, das Video sei dann eben gefälscht, das Militär lüge nicht. Für uns Europäer ist diese Naivität nicht zu begreifen.) Das führt zu einer gefährlichen Lage: Mehrfach wurden Ausländer in den letzten Wochen für Spione gehalten und kamen in erhebliche Schwierigkeiten. Beispiele:
- Ein Freund von mir war im Oktober zwischen Edfu und Esna in einem Dorf und wartete dort auf einen Minibus zurück nach Luxor. Nachdem er sich Stunden(...) nett mit den Leuten unterhalten hatte, gab es zum Problem. Jemand behauptete, er sei ein israelischer Spion. Innerhalb weniger Minuten bildete sich daraufhin eine Menschenmmenge, die mit Messern, Knüppel und Eisenstangen bewaffnet war. Mit dabei die Leute, mit denen er zuvor nett geplauscht hatte. Da im Reisepass nicht in arabischer Schrift "Bundesrepublik Deutschland" steht, konnte die Lage nicht schnell entschärft werden. Er entkam nur, als ein zufällig passierender höherer Polizeimensch ihn in ein Auto steckte, welches dann davon brauste.
- Der slovenische Botschafter wurde in Kairo für einen Spion gehalten, weil er Fotos in einem Stadtteil machte. Er wurde zusammengeschlagen. Das berichtete Ahram online gerade gestern.
- Ich traf Mitte Dezember in Luxor zwei Radfahrer, die kurz zuvor bei Edfu auf dem Land in den Feldern in ihrem Zelt übernachten wollten. Als sie jemanden fragten, ob es auf seinem Feld ginge, hielt man sie für Spione. Es kamen in kurzer Zeit eine größere Zahl von Menschen zusammen, die berieten, was mit ihnen zu tun sei. Glücklicherweise entschied man sich, die Polizei zu rufen, die auch tatsächlich erschien. Die Polizei dankte den Ägyptern für ihre Wachsamkeit, lud die beiden daraufhin in einen Polizeiwagen und teilte den Ägyptern mit, man werde die Spione zur Befragung mitnehmen. Eine kurze Strecke weiter entschuldigte sich die Polizei für die Umstände und ließ beide weiterradeln. Man habe die Situation nicht anders bereinigen können.
- In Shallal bei Aswan wollten Steinbrucharbeiter wissen, woher wir kämen. Deutschland war ok, aber Israelis und Amerikaner hätte man gleich umgebracht - teilte man uns unverblümt mit (typisch ägyptische Übertreibung?). So deutlich hatte mir das zuvor niemand mitgeteilt.
- In Aswan in der Nähe des Souk war ich abends auf dem Rückweg zum Hotel. Die Straße war leer und nur ein Ägypter stand dort und telefonierte. Als ich passierte sagte er dem Gesprächspartner am Handy, dass gerade ein Jude bei ihm vorbei ginge. Ich suchte vorsichtshalber schnell das Weite.
- Mehrfach warnten uns Ägypter auf dem Land, besser die entsprechende Gegend zu verlassen. Man wäre dort nicht gern gesehen und dazu gäbe es noch bewaffnete Banditen. So u.a. bei Gebel Silsila.

Gerade dieser Spionageverdacht ist äußerst problematisch. Man kann sich dagegen nicht wehren, ihn nicht entkräften und kann durch das mangelnde Hinterfragen vieler Ägypter sehr schnell in brenzlige bis lebensgefährliche Situationen kommen. Dieses Risiko ist überall und überhaupt nicht kalkulierbar. Solange man in ausgetretenen Touristenpfaden bleibt und in größeren Gruppen reist, dürfte es sich arg in Grenzen halten. Gerade Einzelreisende leben derzeit aber deutlich gefährlicher als bislang.


Ich möchte nicht schwarz malen oder in Panik verfallen. Ägypten ist kein Bürgerkriegsland und kein mexikanisches Slum mit Drogenkrieg und mit täglicher Lebensgefahr. Wie ich oben schrieb, halte ich bestimmte Dinge für unproblematisch. Es besteht für mich aber kein Zweifel daran, dass Einzelreisen über Land (erst recht mit öffentlichen Verkehrsmitteln) derzeit ein deutlich erhöhtes Sicherheitsrisiko bedeuten. Das ist leider kaum kalkulierbar. Dem Hinweis des AA, dass von Reisen in die sog. "sonstigen Gebiete" dringend abgeraten wird, muss ich nach den letzten Wochen leider zustimmen. Es war eine schöne Reise, aber es war nicht wie früher. Mittelägypten haben wir komplett gestrichen und nicht nur einen Tagesausflug vorsichtshalber abgebrochen. Natürlich ist meine Einschätzung komplett subjektiv. Jeder schätzt die Lage anders ein und ist bereit, ein anderes Risiko in Kauf zu nehmen. Eine eigene Meinungsbildung kann durch nichts ersetzt werden.
Autor des Reiseführers "ÄGYPTEN - DAS NILTAL von Kairo bis Abu Simbel"

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