Daniel Jackson hat geschrieben: Natürlich handelt es sich um eine Übergangssituation. Aber gerade in dieser liegt eine besondere Verantwortung bei den Personen, die z.Zt. die Macht haben. Gerade weil im politischen Raum keine gegenseitige Kontrolle von Exekutive und Legislative da ist, kommt es noch viel mehr als sonst auf die Kontrolle durch die sog. "vierte Gewalt", die Medien an.
Hierzu von mir völlige Zustimmung!
Und ja - in der Tat ist die derzeitige Situation auch für Mursi, wenn er denn der aufrichtige Präsident ist, für den man ihn halten kann, eine extrem unangenehme. Man wird abwarten müssen, wie Teile der Macht neu angeordnet werden, sobald
a) die Verfassungsgebung abgeschlossen ist und
b) das Kabinett in allen Tätigkeitsbereichen produktiv arbeitet.
Wenn ich das noch einmal wiederholen darf, und schließlich wird dies selbst von kritischen Kräften in Kairo bestätigt: bisher sind die Schritte Mursis unverdächtig, logisch und bewegen sich unbeirrt auf die Ziele der Revolution zu.
Bisher sind Okashas Äußerungen nur von geringem Wert; ein einziger Blick in die Präsenz ägyptischer Presse reicht als Gegenbeweis. Wenn zahlreiche Blätter Kritik üben und frei Verdacht äußern, dann wiegt die gekreischte Beschwerde eines einzigen Pressevertreters einfach nicht viel.
Auch At-Tahrir wird sich nach dem Sinngehalt seiner Vorwürfe fragen lassen müssen, wenn es parallel zu deren Behauptungen durchaus nennenswerte Demonstrationenen gegen Mursi und die FJP gibt.
Okasha und At-Tahrir leben vom Gerücht, von der Behauptung und vor allem von dem althergebrachten, reflexhaft geübten Gefühl, dass die Bevölkerung ja doch irgendwie dumm und kleingehalten wird. Ich stütze mich da auf zahlreiche Unterstützer Mursis aus der säkularen Jugend, die Mursis Vorgehen begrüßt und unterstützt.
Vor allem aber haben wir durch Clinton den Beweis, dass (zumindest im konkreten Vergleich mit allen erdenklichen Wahlen in der gesamten Region!) die Wahlen korrekt abgelaufen sind.
Wir haben also eine GEWÄHLTE Dominanz des Islam auf dem Präsidentenstuhl und im Parlament. Das ist nunmal DEMOKRATIE, auch wenn es allen möglichen Querköpfen in Ägypten und im Westen so nicht passt. Viel zu viele haben fest eingeplant gehabt, dass die Revolution wesentliche Teile des Islam als gesellschaftlich steuernde und prägende Kraft hinwegfegen wüprde.
Und so ist es nur logisch, dass diese furchtbar enttäuschten Kräfte nach allem suchen, was irgendwie kritisierbar wäre. Nicht nur in Ägypten - in diesem Sinne haben auch die USA (wieder einmal) versucht, massiv Einfluss auf innerägyptische Politik zu nehmen.
Das ist ein Fehler.
Der Bruderschaft und der FJP mit Mursi heute an die Karre fahren zu wollen kann nur bedeuten, extremere Kräfte auf den Plan zu rufen. Dies erklären zu wollen, würde hier zu weit führen, aber ich bin persönlich davon überzeugt, dass Israel in konkrete Lebensgefahr geriete, wenn Mursi stürzten sollte.
Jetzt kommt es also darauf an, dass Mursi eine gute Linie fährt und sich der besonderen Verantwortung bewusst ist. Die noch nicht erreichte Demokratie ist derzeit besonders verletzlich, weil sie gerade aufkeimt aber noch keine demokratisch-gefestigten Institutionen und Werte hat. Vor allem muss er aber eben zeigen, dass ihm nicht (wie vielen anderen) die Macht zu Kopf steigt und er nachher nicht mehr davon lassen kann und will.
Hier möchte ich vielleicht tatsächlich mit zwei Worten weiter ausholen:
Wir hier in Deutschland, behaupte ich, investieren nur mangelhaftes bis ungenügendes Verständnis für die augenblicklich hochbewegte Entwicklung im Islam. Manchen ist noch der Name Tariq Ramadan ein Begriff; er fordert seit langem, europäische Muslime sollen ihre Herkunft „vergessen“ und sich somit ertüchtigen, eine eigene Lesart des Islam zu prägen.
Hierzu gehört die Überzeugung, dass Islam und Politik nicht unvereinbar miteinander sind.
Offenbar hat es eine Rückströmung gegeben und zwar eine, die verblüfft. Westliche Werte haben ihre Schnittstellen im Islam gefunden und verwirklichen sich genau dort, wo dieser zuhause ist – wer hätte das gedacht?
Aber es sind Europäer und US-Amerikaner, die (mal wieder) nicht hinschauen, nicht lernen, nicht verstehen. Sie glauben immer noch –oder sie wünschen es sich so sehr- an den schreienden, vernagelten Bombengürtelträger, wenn sie an „Muslim“ denken. Sie sehen reflexhaft nur abgehackte Hände und gesteinigte Frauen.
Vor allem wird nicht hingesehen: man bekümmere sich um die FIGUR des ägyptischen Großscheichs und wende sich dann sowohl dessen Fatwas zu als auch denen seines Vorgängers. Man bequeme sich, im Ikhwanweb zu lesen und wird dann vielleicht begreifen, dass der Islam von gestern längst nicht mehr der von heute ist. Natürlich gibt es noch immer Betonköpfe, auch in FJP und Bruderschaft – keine Frage. Aber Mursi ist definitiv KEINER, sondern ein tatkräftiger Denker der Neuzeit (was bisher jeden überrascht).
Er braucht ZEIT, kritische Beobachtung, aber eben auch Unterstützung. Nach meiner persönlichen Meinung hat er bisher unzweifelhaft konstruktive Schritte unternommen, die allesamt erstmal in die richtige Richtung zeigen. Auf jeden Fall aber baut er ein Ägypten auf, welches einmal politische Handhabe haben wird, IHN NÖTIGENFALLS AUCH ZU ENTFERNEN!
(Tschuldigung für Schreibdurchfall!)