Mursi - Ein neuer Präsident ist gewählt.

Hier könnt ihr Einsteigerfragen zu Ägyptologie, Tempeln, Götter usw. stellen, aber auch zur gegenwärtigen Kultur, dem Land und seinen Menschen Stellung beziehen

Moderatoren: Uli, Isis

GittaW

Beitragvon GittaW » Di 14 Aug, 2012 22:36

(Man wird hier sehr unterscheiden müssen: Okasha hat gegen die Revolution gehetzt, Mubarak und nachher das SCAF unterstützt; er ist harter Kritiker der Moslembrüder; die Zeitung Al-Dostur ist ebenfalls den Moslembrüdern gegenüber äußerst kritisch, zählt aber eher zum liberalen Lager und ist eher pro-revolutionär eingestellt.)


Also ich finde, Pressefreiheit ist Pressefreiheit. Welche Gesinnung dahinter steckt, ist erstmal egal, solange nicht gegen Gesetze verstoßen wird, was ich in diesem Fall nicht beurteilen kann.

Es gibt inzwischen noch einen weiteren, ähnlich gearteten Fall

Egyptian authorities ban popular history book on Middle East
http://english.ahram.org.eg/News/50277.aspx

LG
Gitta

Gast

Beitragvon Gast » Mi 15 Aug, 2012 10:07

Pressefreiheit unter einem Regime, das sich, weil für eigene Zwecke nutzbar, der Instrumente der "vorrevolutionären Ära" bedient ? Solange es ein "The Egyptian Print Censorship Authority" gibt, wohl kaum denkbar.
Aber eigentlich war nichts anderes zu erwarten, die Entwicklung in Ägypten ist nur logisch (man schaue sich nur den Bildungsgrad der großen Masse an) und halt überhaupt nicht das, was sich westliche Medien im wahrsten Sinn des Wortes erträumt hatten: Eine demokratische Gesellschaft nach westlichem Verständnis, wobei auch hier die Frage erlaubt sein sollte, was westliches Verständnis ist. Amerikanische Vorstellungen sind sicher ganz anders als das, was z.B. die "Grand Nation" darunter sehen will.

Was DJ mit seiner Aussage gemeint hat, wäre eigentlich erläuterungsbedürftig. Gerade von ihm hätte ich ein wenig mehr Toleranz erwartet, und kann daher die Meung von GittaW nur teilen

Conny-BS
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Beitragvon Conny-BS » Mi 15 Aug, 2012 14:10

Daniel Jackson hat geschrieben:Neulich verlinkte ich einen Artikel zur Stromsituation im Land. Heute kommt ein neuer Hammer: halb Kairo war/ist stundenlang ohne Strom. Die Metro blieb liegen, die Menschen mussten die Türen manuell öffnen und über die Schienen ins Freie laufen, um nicht in den Wagen zu ersticken. Angeblich soll das Kraftwerk in 6th October City nicht mit Brennstoff beliefert worden sein.
http://egyptianchronicles.blogspot.de/2 ... -went.html


Um Strom zu sparen denkt man in Ägypten jetzt über ein neues Gesetz nach, das nach dem "Ajid el Fetr" die Läden schon um 21h und Restaurants zwei Stunden später schließen sollen. ..Quelle und weiter lesen
"Al-barr yib `id `an ash-sharr"
(Die Wüste hält vom Schlechten fern - altes Beduinen Sprichwort)

Ägypten 2024 - vom 13. März - 03. Juni

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Beitragvon NICO » Mi 15 Aug, 2012 14:53

Selam

Der ägyptische Präsident feuert seine wichtigsten Militärs - und zementiert so seine Macht. Wird Mohammed Mursi jetzt ein zweiter Mubarak? "Das ist die große Gefahr", sagt Ronald Meinardus, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo.


http://www.dradio.de/dlf/sendungen/inte ... f/1838138/

Gruss Nico
نيكو

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Beitragvon Daniel Jackson » Mi 15 Aug, 2012 17:46

Da nach einer Erläuterung meiner Aussage gefragt wurde:

Ich bin natürlich nicht der Meinung, dass bestimmte Meinungen weniger Schutz durch Pressefreiheit verdienen als andere. Konkret ist natürlich Herr Okasha genauso durch die Pressefreiheit geschützt wie Al-Dostur. Oder jemand, der Mubarak gut findet, oder eben die Moslembrüder oder oder oder. Zumindest sollte es so sein.

Wir alle wissen aber, dass die Pressefreiheit gewissen Schranken unterliegt. So dürfen Journalisten z.B. nicht unter dem Deckmantel der Pressefreiheit zu Straftaten aufrufen. Darauf bezog sich meine Äußerung: angesichts dessen, was Herr Oshaka in den vergangenen Monaten von sich gegeben hat, kann ich mir eine Gesetzesübertretung sehr viel eher vorstellen als bei Al-Dostur. Deshalb meinte ich, dass man da wohl wird unterscheiden müssen. Wenn Al-Dostur vor einem Khalifat der Moslembrüder warnt, dann ich das eine Lageeinschätzung und die Warnung vor einem Zukunftsszenario. Wenn andere gegen Demonstranten hetzen und implizieren, dass man diesen mal ans Leder müsste, dann ist das etwas anderes. Ich kenne nicht im Detail alle Äußerungen des TV-Moderators, aber es sollen sehr heftige dabei sein.
Autor des Reiseführers "ÄGYPTEN - DAS NILTAL von Kairo bis Abu Simbel"
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Beitragvon Daniel Jackson » Do 16 Aug, 2012 07:25

Ein wichtiges Mitglied von Al Azhar ruft mehr oder weniger deutlich dazu auf, die für den 24.8. geplanten Proteste gegen die Moslembrüder zu bekämpfen. Das sei religiöse Pflicht. Wer dabei getötet werde komme ins Paradies, wer dabei töte müsse kein Blutgeld zahlen. Mohammed el-Baradei fordert, den Mann umgehend vor Gericht zu stellen. Geschehe das nicht, gleite man in eine religiös verpackte Diktatur. (Anm.: Wer Journalisten wegen weit harmloserer Äußerungen vor Gericht zerrt, der darf jetzt seine Neutralität unter Beweis stellen und den Mann umgehend festnehmen lassen.)
http://www.egyptindependent.com/news/up ... ontroversy
http://english.ahram.org.eg/NewsContent ... antiM.aspx

Die staatliche Zeitung Al-Akhbar hat in wenigen Tagen zwei Meinungsartikel nicht abgedruckt, die sich kritisch zu den Moslembrüdern äußerten. Der neue Chefredakteur wurde gerade mit der Mehrheit der Moslembrüder im Shura Rat eingesetzt. Jetzt wurde die Meinungsseite, auf der bislang Figuren aus der Gesellschaft zu Wort kamen ganz gestrichen, angeblich um "eigenen Inhalten" mehr Raum zu geben.
http://www.egyptindependent.com/news/ne ... rotherhood
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Beitragvon Isis » Do 16 Aug, 2012 09:51

salam

hier ein bericht zu der zeitung und dem verlag. (ab ca 28min)

http://www.ardmediathek.de/das-erste/ta ... d=11419524

auch wird angesprochen das immer mehr geschäfte die von christen geführt werden drohbriefe bekommen, also unter druck gesetzt werden.

die für den 24.8. geplanten Proteste gegen die Moslembrüder


nun kann ich auch was mit dem datum anfangen :( denn ich habe aus luxor erfahren das viele vor dem 24.8 angst haben aber wie gesagt ich konnte dem datum kein ereignis zuordnen.
wenn man aber nun die aussagen von wegen ... Wer dabei getötet werde komme ins Paradies, wer dabei töte müsse kein Blutgeld zahlen. .... so liest weis ich nun auch warum viele vor dem tag angst haben. :evil:

ma salama

.... isis ....

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Beitragvon Nil-Eule » Do 16 Aug, 2012 10:56

Daniel Jackson hat geschrieben: Mohammed el-Baradei fordert, den Mann umgehend vor Gericht zu stellen. Geschehe das nicht, gleite man in eine religiös verpackte Diktatur.


Damit hat el-Baradei natürlich recht, wenn ich auch die eingebaute Schlussfolgerung, man gleite dann in eine "religiös verpackte Diktatur" nicht nachvollziehen kann.
Die Frage ist doch: welche andere Möglichkeit hat denn Ägypten gehabt, außer der schnellstmöglichen Entmachtung des Militärs?
War es nicht zentrale Forderung der Revolution, einem frei gewählten Präsidenten die Führung Ägyptens zu übertragen? Und was wäre das für ein Präsident gewesen, der außer lächeln und winken nichts gedurft und für alles um Erlaubnis zu fragen gehabt hätte?
Jenseits aller Verrücktmacherei gibt es genügend säkulare und liberale Kräfte in Ägypten, die Mursis Schritt begeistert begrüßen.
wohl ausschlaggebend sein. Den unbequemen Richter Mekki zum Premier zu machen, sollte ein deutliches Zeichen sein. Die Zusammensetzung des Kabinetts ein weiteres. Weder im Falle Mekki noch im Kabinett findet man eine problematische Dominanz der FJP, geschweige denn der Bruderschaft.
Man muss sich wirklich nach machbaren Alternativen fragen. Hätte Mursi, nur um jeden Verdacht auszuräumen, dem Militär die faktische Staatsführung überlassen sollen? Und falls nicht, wem hätte er denn KONKRET die Macht, die er dem Militär genommen hat, übergeben sollen?

"Die Zeit" jedenfalls schreibt m.E. völlig richtig, dass Mursi erstens kaum eine andere Wahl hatte, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Schritte unternommen hat und im Allgemeinen professionell vorgeht. Und, das ist das weitaus Wichtigste und ich sehe das genauso, jetzt erst (!) Ägypten eine "echte" Revolution ermöglicht. Denn JETZT sind all die korrumpierten Täter von damals wirklich weg, und Tantaoui selbst strotzte schließlich nicht gerade vor Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. JETZT haben wir in Kairo eine zivile Regierung, ein Parteiensystem und überhaupt erst eine politische Diskussion. Die Wahlen waren nicht im Ansatz politisch, sie waren nur Ausdruck von Ängsten. Die einen hatten Angst, dass sich das Militär durchsetzt und die anderen, dass es sich nicht durchsetzt. Anders ist der Wahlausgang kaum zu erklären; eine säkular-liberale Position, hätte, wenn denn POLITISCH gewählt worden wäre, zwingend wesentlich höhere Erfolge haben müssen. El-Baradei hatte das zum richtigen Zeitpunkt erkannt und sich genau DESHALB eben nicht zur Wahl gestellt.

Wer Angst um Ägypten haben möchte, der kann sie m.E. viel eher auf die Kräfte konzentrieren, die sich nach wie vor ums Militär scharen, denn DAS sind die möglichen Täter von morgen.
Um den Zustand der Al-Azhar muss man sich keine Sorgen machen; einzelne Ausfälle gibt es in jeder Institution. Der Großscheich Al-Tayeeb jedenfalls hat sich vor, während und auch nach der Wahl über jede Kritik erhoben und es muss noch einmal auf eine Flut von Fatwas hingewiesen werden, die die Al-Azhar von jedem Verdacht, ein verknöcherter Haufen von erzkonservativen Betonkopfmuslimen zu sein, entlasten.
"Wer einmal von den Wassern des Niles getrunken, kann seinen Durst nie wieder woanders stillen." (Mika Waltaari; "Sinuhe der Ägypter")

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Beitragvon Daniel Jackson » Do 16 Aug, 2012 17:18

Jörg Armbruster zur "schleichenden Islamisierung Ägyptens":
http://www.tagesschau.de/ausland/islamisierung100.html

@Nil-Eule:
Ja, Du hast recht. Es war richtig, die alten Mubarak-Leute an der Spitze der Armee endlich loszuwerden. Und es ist auch richtig, dass das Militär den Menschen diesen muss und diese nicht regieren darf. Völlige Zustimmung.

Aber es gibt auch genug Grund zur Sorge. Die jetzige Situation ist nämlich beileibe keine demokratisch erstrebenswerte. Der Präsident ist derzeit gleichzeitig Exekutive und Legislative, Checks and Balances findet nicht bzw. nur sehr begrenzt durch die (in der Vergangenheit immer sehr politisch agierende) Judikative statt.

Natürlich handelt es sich um eine Übergangssituation. Aber gerade in dieser liegt eine besondere Verantwortung bei den Personen, die z.Zt. die Macht haben. Gerade weil im politischen Raum keine gegenseitige Kontrolle von Exekutive und Legislative da ist, kommt es noch viel mehr als sonst auf die Kontrolle durch die sog. "vierte Gewalt", die Medien an. Sie müssen Misstände aufdecken, abweichenden Meinungen Raum geben und den Finger immerzu in die Wunden legen. Und Demonstrationen und das garantierte Versammlungsrecht als Korrektiv ist ebenfalls derzeit besonders wichtig. Gerade weil es im politischen Raum kein akzeptables Gegenüber, keine nennenswerte Opposition gibt. Die Liberalen sind viel zu kleinteilig zersplittert, haben nicht viel Schlagkraft. Die Reste des alten Regimes arbeiten weiterhin gegen, aber ihren Erfolg kann man sich auch nicht wünschen.

Jetzt kommt es also darauf an, dass Mursi eine gute Linie fährt und sich der besonderen Verantwortung bewusst ist. Die noch nicht erreichte Demokratie ist derzeit besonders verletzlich, weil sie gerade aufkeimt aber noch keine demokratisch-gefestigten Institutionen und Werte hat. Vor allem muss er aber eben zeigen, dass ihm nicht (wie vielen anderen) die Macht zu Kopf steigt und er nachher nicht mehr davon lassen kann und will. Die derzeitigen Anzeichen des Umgangs mit Kritikern und unbequemen Köpfen deuten aber meiner Meinung nach leider in genau die Richtung, dass es da nicht viel Akzeptanz auf Seiten einiger führender Köpfe der Moslembrüder gibt. Man kann gewählt sein und soll auch seine politischen Vorstellungen umsetzen (dafür IST man ja gewählt). Aber es gibt eben Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, ohne demokratisches Terrain zu verlassen. Das ist in der aktuellen Lage besonders leicht, die Versuchung vielleicht auch besonders groß. Denn die Machtfülle ist groß und es fehlt die demokratische Kultur und sicherlich auch das Verständnis (das allerdings fehlt auch so manchen PolitikerInnen hierzulande, wenn man deren Kommentaren so lauscht). Und genau deshalb ist eine religiöse Diktatur durchaus ein Szenario, vor dem man warnen muss.

Ich selbst glaube in meinem Optimismus nicht, dass es dazu in Ägypten kommen wird - aber die Möglichkeit steht schon real im Raum.


Insider berichten, Mursi wolle sich als nächstes der Judikative zuwenden und von Mubarak eingesetzte, ihm ungenehme Richter loswerden. Auch das kann man natürlich wieder von zwei Seiten sehen.
http://english.ahram.org.eg/NewsContent ... -move.aspx
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Beitragvon NICO » Do 16 Aug, 2012 20:09

Selam

" 200 Millionen US-Dollar von der Weltbank für Ägypten "

http://derstandard.at/1343744872609/200 ... r-Aegypten


Und Neues von Herrn Mubarak, die Klage seines Sohnes wurde abgewiesen und er bleibt in der Gefägnisklinik:

http://derstandard.at/1343744907109/Ex- ... gnisklinik

Tja was lässt sich die Familie als nächstes einfallen ? :roll:

Gruss Nico
نيكو

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Beitragvon Nil-Eule » Fr 17 Aug, 2012 09:04

Daniel Jackson hat geschrieben: Natürlich handelt es sich um eine Übergangssituation. Aber gerade in dieser liegt eine besondere Verantwortung bei den Personen, die z.Zt. die Macht haben. Gerade weil im politischen Raum keine gegenseitige Kontrolle von Exekutive und Legislative da ist, kommt es noch viel mehr als sonst auf die Kontrolle durch die sog. "vierte Gewalt", die Medien an.


Hierzu von mir völlige Zustimmung!
Und ja - in der Tat ist die derzeitige Situation auch für Mursi, wenn er denn der aufrichtige Präsident ist, für den man ihn halten kann, eine extrem unangenehme. Man wird abwarten müssen, wie Teile der Macht neu angeordnet werden, sobald
a) die Verfassungsgebung abgeschlossen ist und
b) das Kabinett in allen Tätigkeitsbereichen produktiv arbeitet.
Wenn ich das noch einmal wiederholen darf, und schließlich wird dies selbst von kritischen Kräften in Kairo bestätigt: bisher sind die Schritte Mursis unverdächtig, logisch und bewegen sich unbeirrt auf die Ziele der Revolution zu.

Bisher sind Okashas Äußerungen nur von geringem Wert; ein einziger Blick in die Präsenz ägyptischer Presse reicht als Gegenbeweis. Wenn zahlreiche Blätter Kritik üben und frei Verdacht äußern, dann wiegt die gekreischte Beschwerde eines einzigen Pressevertreters einfach nicht viel.
Auch At-Tahrir wird sich nach dem Sinngehalt seiner Vorwürfe fragen lassen müssen, wenn es parallel zu deren Behauptungen durchaus nennenswerte Demonstrationenen gegen Mursi und die FJP gibt.

Okasha und At-Tahrir leben vom Gerücht, von der Behauptung und vor allem von dem althergebrachten, reflexhaft geübten Gefühl, dass die Bevölkerung ja doch irgendwie dumm und kleingehalten wird. Ich stütze mich da auf zahlreiche Unterstützer Mursis aus der säkularen Jugend, die Mursis Vorgehen begrüßt und unterstützt.

Vor allem aber haben wir durch Clinton den Beweis, dass (zumindest im konkreten Vergleich mit allen erdenklichen Wahlen in der gesamten Region!) die Wahlen korrekt abgelaufen sind.
Wir haben also eine GEWÄHLTE Dominanz des Islam auf dem Präsidentenstuhl und im Parlament. Das ist nunmal DEMOKRATIE, auch wenn es allen möglichen Querköpfen in Ägypten und im Westen so nicht passt. Viel zu viele haben fest eingeplant gehabt, dass die Revolution wesentliche Teile des Islam als gesellschaftlich steuernde und prägende Kraft hinwegfegen wüprde.
Und so ist es nur logisch, dass diese furchtbar enttäuschten Kräfte nach allem suchen, was irgendwie kritisierbar wäre. Nicht nur in Ägypten - in diesem Sinne haben auch die USA (wieder einmal) versucht, massiv Einfluss auf innerägyptische Politik zu nehmen.

Das ist ein Fehler.
Der Bruderschaft und der FJP mit Mursi heute an die Karre fahren zu wollen kann nur bedeuten, extremere Kräfte auf den Plan zu rufen. Dies erklären zu wollen, würde hier zu weit führen, aber ich bin persönlich davon überzeugt, dass Israel in konkrete Lebensgefahr geriete, wenn Mursi stürzten sollte.

Jetzt kommt es also darauf an, dass Mursi eine gute Linie fährt und sich der besonderen Verantwortung bewusst ist. Die noch nicht erreichte Demokratie ist derzeit besonders verletzlich, weil sie gerade aufkeimt aber noch keine demokratisch-gefestigten Institutionen und Werte hat. Vor allem muss er aber eben zeigen, dass ihm nicht (wie vielen anderen) die Macht zu Kopf steigt und er nachher nicht mehr davon lassen kann und will.


Hier möchte ich vielleicht tatsächlich mit zwei Worten weiter ausholen:
Wir hier in Deutschland, behaupte ich, investieren nur mangelhaftes bis ungenügendes Verständnis für die augenblicklich hochbewegte Entwicklung im Islam. Manchen ist noch der Name Tariq Ramadan ein Begriff; er fordert seit langem, europäische Muslime sollen ihre Herkunft „vergessen“ und sich somit ertüchtigen, eine eigene Lesart des Islam zu prägen.
Hierzu gehört die Überzeugung, dass Islam und Politik nicht unvereinbar miteinander sind.
Offenbar hat es eine Rückströmung gegeben und zwar eine, die verblüfft. Westliche Werte haben ihre Schnittstellen im Islam gefunden und verwirklichen sich genau dort, wo dieser zuhause ist – wer hätte das gedacht?
Aber es sind Europäer und US-Amerikaner, die (mal wieder) nicht hinschauen, nicht lernen, nicht verstehen. Sie glauben immer noch –oder sie wünschen es sich so sehr- an den schreienden, vernagelten Bombengürtelträger, wenn sie an „Muslim“ denken. Sie sehen reflexhaft nur abgehackte Hände und gesteinigte Frauen.
Vor allem wird nicht hingesehen: man bekümmere sich um die FIGUR des ägyptischen Großscheichs und wende sich dann sowohl dessen Fatwas zu als auch denen seines Vorgängers. Man bequeme sich, im Ikhwanweb zu lesen und wird dann vielleicht begreifen, dass der Islam von gestern längst nicht mehr der von heute ist. Natürlich gibt es noch immer Betonköpfe, auch in FJP und Bruderschaft – keine Frage. Aber Mursi ist definitiv KEINER, sondern ein tatkräftiger Denker der Neuzeit (was bisher jeden überrascht).

Er braucht ZEIT, kritische Beobachtung, aber eben auch Unterstützung. Nach meiner persönlichen Meinung hat er bisher unzweifelhaft konstruktive Schritte unternommen, die allesamt erstmal in die richtige Richtung zeigen. Auf jeden Fall aber baut er ein Ägypten auf, welches einmal politische Handhabe haben wird, IHN NÖTIGENFALLS AUCH ZU ENTFERNEN!

(Tschuldigung für Schreibdurchfall!)
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Beitragvon Gast » Fr 17 Aug, 2012 10:19

bewegen sich unbeirrt auf die Ziele der Revolution zu
Wobei die Frage erlaubt sein muss, wessen Ziele du meinst.

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Beitragvon Nil-Eule » Fr 17 Aug, 2012 10:26

Anonymous hat geschrieben:
bewegen sich unbeirrt auf die Ziele der Revolution zu
Wobei die Frage erlaubt sein muss, wessen Ziele du meinst.


Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Ich wiederhole mich da mal:

... die Ziele der Revolution ....
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Gast

Beitragvon Gast » Fr 17 Aug, 2012 10:40

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil

Aber wer selbständig denken kann, sich eine eigene Meinung bildet, nicht nur engstirnig eine bestimmte Richtung verfolgt, noch sehr viel mehr.
Ich habe absolut nichts gegen die von Mursi getroffenen Entscheidungen einzuwenden, bin aber sehr gespannt, wohin der Weg letztendlich führt.
Es wäre nicht die erste Revolution, die am Ende ihre eigenen Kinder frißt.

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Beitragvon Nil-Eule » Fr 17 Aug, 2012 11:17

Anonymous hat geschrieben:
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil


Die Kunst des "Lesens" befähigt auch übrigens dazu, die Absonderung von Fragwürdigkeiten zu minimieren.
Man muss zwar zugegebenermaßen zumindest der englischen Sprache mächtig sein, kann dann aber auf wortreiche Grundsatzeinlassungen derjenigen, über die man redet, zugreifen und sich gründlich informieren.
Denn nichts ist dümmer als flache, von Dritten aufgegriffene und ungefiltert weitertrompetete Ressentiments und Ängste.

Davon haben wir in Deutschland genug. Wenn ich mir anschaue, wieviel selbsternannte "Experten" wieviel grauenerregenden Schwachsinn absondern, wird mir regelmäßig schwummerig. Und wenn ich erlebe, wie deren Ergüsse ungefiltert, unbedacht, unkorrigiert nachgeplappert, ja nachgeäfft werden, regelrecht schlecht.
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